Ausritt mit Mr. Poe

"Einen geschlagenen Tag lang, starr, trüb, tonlos & tief im Herbst des Jahres, war ich allein, zu Pferde, unter dem be- drückend lastenden Wolkenhimmel, durch einen ungewöhnlich öden Strich Landes dahingeritten; und fand mich endlich, da die Schatten des Abends sich anschickten, angesichts des melancholischen Hauses Ascher."

"During the whole of a dull, dark, and soundless day in the autuum of the year, when the clouds hung oppressively low in the heavens, I had been passing alone, on horseback, through a singularly dreary tract of country, and at length found myself, as the shades of evening drew on, within view of the melancholy House of Usher."

Haben Sie's gelesen? Dabei sind Ihnen hoffentlich zwei Dinge klargeworden. Erstens: Übersetzungen sind Notbehelfe. Zweitens: ein bißchen Poesie ist auch beim Story-Schreiben hilfreich. Poe schafft hier über den Rhythmus der Sätze und die düstere Klangfarbe schon im ersten Satz eine beklemmende Atmosphäre, die manch anderer auf zehn Seiten nicht hinbrächte.

Jaaa - 19. Jahrhundert! Richtig! Wie 'Fall of the House of Usher' dann weitergeht, so würde man heute keine Geschichte mehr erzählen. Richtig!

Aber der Anfang?

Den sollte man sich wirklich GRÜNDLICH zu Gemüte führen. Natürlich muß man dem Leser nicht immer so massiv kommen - aber es ist ganz hilfreich, wenn man es kann.

Lesen Sie das Ding ruhig nochmal (das Original - die Übersetzung war nur für Vergleichszwecke!). Sind da noch irgendwelche Fragen offen, wie's im Haus Usher so aussieht? Kann man sich vorstellen, daß auf diese Zeilen rotbäckiges Leben folgt?

Andererseits: Könnte man sich vorstellen, daß der Reiter in Innsmouth ankäme? Mitnichten - Innsmouth ist zu grob realistisch. Der ganze Satz atmet die Idee des Verfalls - genauer: den Schwanengesang der Romantik. Innsmouth liegt jenseits, ist die leibhaftige Pest.

Wir haben oben gesagt, Atmosphäre wäre bei Kurzgeschichten sparsam zu gebrauchen. Hier haben Sie die Ausnahme: ein Satz poetischer Prosa spart ein Vielfaches an schlechter Prosa.

Dabei hat dieser Satz sogar noch eine sehr triviale Funktion: er sagt uns, daß der Reiter einen ganze Tag schon reitet, daß es Herbst ist, und daß er nun endlich, abends, beim Haus Usher angekommen ist. Um das zu radebrechen, brauchen wir bereits zwei Zeilen. Und dann stünden wir noch vor dem gewaltigen Problem, diese kaum faßbare Weltuntergangsstimmung auszudrücken.

Es gibt Leute, die würden dann einfach hinschreiben: "Alles war irgendwie Scheiße..."

Es gibt sogar Leute, denen würde der Unterschied gar nicht auffallen - zwischen Poes Satz und dem letzteren.

Zitiert haben wir ihn - langer Rede kurzer Sinn - um Ihnen zu zeigen, daß die Beschäftigung mit der Lyrik auch für einen Geschichtenschreiber hilfreich sein kann.

Sowas spart Platz, spart Tinte. Aufgrund einer dergestalt geschaffenen Atmosphäre schreibt sich's viel besser.

Mit einem Satz ist - in diesem Fall - eine ganze, trübsinnige, dem Untergang geweihte Welt erschaffen. Effizienter geht's nicht!

Auch deshalb haben wir den guten alten Paul Celan wärmstens zur Lektüre empfohlen. Machen Sie sich mit den sprachlichen Tricks der Lyrik vertraut! Dummerjan tippt sich die Finger wund, ein kluger Kopf schafft's mit einem Satz.

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