Robbe-Grillet, Les Gommes
"Im Halbdunkel der Gaststube rückt der Wirt die Tische und die Stühle,
die Aschenbecher und die Syphons mit dem Sodawasser zurecht; es ist
sechs Uhr morgens.
Er braucht nicht zu sehen, er weiß nicht einmal, was er tut. Er schläft
noch. Sehr alte Gesetze bestimmen bis ins einzelne seine Bewegungen,
die ein für allemal der Ungewißheit menschlichen Wollens entzogen sind.
Jede Sekunde bedeutet nichts als eine Bewegung: ein Schritt zur Seite,
den Stuhl in dreißig Zentimeter Entfernung hinsetzen, dreimal mit dem
Lappen darüberwischen, eine halbe Drehung nach rechts, zwei Schritte
vorwärts; jede Sekunde hat ihre Bedeutung, vollkommen, gleichmäßig,
makellos. Einunddreißig. Zweiunddreißig, Dreiunddreißig.
...
Jede Sekunde genau an ihrem Platz. Bald wird die Zeit leider nicht
mehr Herr über alles sein. In ein paar Augenblicken schon werden
die Ereignisse des Tages, so unbedeutend sie auch sein mögen,
eingehüllt in ihre Schicht von Irrtum und Zweifel, ihre Arbeit
beginnen; sie werden allmählich die ideale Ordnung annagen, tückisch
hier und da eine Abweichung, eine Lockerung, eine Verwirrung und eine
Änderung einfügen, um langsam ihr Werk aufzubauen: einen Tag zu
Wintersanfang, ohne Plan, ohne Richtung, unfaßbar und erschreckend.
Aber noch ist es zu früh; die Tür zur Straße ist eben aufgeriegelt,
die einzige Figur auf der Bühne ist noch nicht zu einer Persönlichkeit
geworden. Es ist die Stunde, in der die zwölf Stühle langsam von den
Kunstmarmortischen heruntersteigen, auf denen sie die Nacht zugebracht
haben. Sonst nichts. Ein mechanischer Arm baut die Dekoration des
Tages auf. Wenn alles bereit ist, werden die Lichter aufflammen..."
(Robbe-Grillet, Les Gommes, dt. Ein Tag zuviel)
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